/Wegphase 1/
/DER AUFBRUCH - Das Bedürfnis zum Ortswechsel -/
/Studentenheim am Hafnerriegel
(1961-64)/
/Wegphase 2/
/DER SCHRITT - Die Integration zum Start -/
/Studentenheim mit Mensa, Graz (1963)/
/Wegphase 3/
/DIE WEGSTRECKE -
Das Einpendeln des Weges -/
/Atelierhaus Graz (1966)/
/Wegphase 4/
/AUF HALBEM WEG -
Der Streckenhinweg -/
/Heim für Studentenehepaare Graz (1966)/
/Wegphase 5/
/DIE ANNÄHERUNG AN DAS ZIEL/
/Wohnanlage Innsbruck - Völs (1962)/
/Wegphase 6/
/AM ZIEL -/
/Terrassenhaussiedlung
Graz - St. Peter/(1965-78)/
/Wegphase 7/
/DIE UMKEHR -/
/AHS Kapfenberg/(1970)/
/Wegphase 8/
/DER STRECKENRÜCKWEG -/
/Chirurgische Universitätsklinik Graz/(1964)/
/Wegphase 9/
/DIE ANNÄHERUNG AN DAS HEIM / Koralmhalle Deutschlandsberg (1973-80)/
/Wegphase 10/
/DIE ANKUNFT -/
/Grazer Congress (1978-82)/
WEGHAFTES. ARCHITEKTUR UND LITERATUR




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3.3 /
/ DIE WEGPHASEN ALS RAUM- UND GRENZERLEBNIS -
Projekte und Realisierungen/
 
1.1 / EINFÜHRUNG / Vorwort des Herausgebers /
0.0 / WERKGRUPPE GRAZ /
3.1 / WERKGRUPPE GRAZ / Werkverzeichnis / Zeittafel /
3.2 / EUGEN GROSS - WERKGRUPPE-Wege, Räume, Gedanken/
3.3 / Die Wegphasen als Raum- und Grenzerlebnis /
3.4 / Der Weg in der Architektur-auf konzeptueller Spurensuche/

"Die Methode ist die Art und Weise, die den
Weg selbst zum
Ziel macht."

Sigrid Hauser































3.3 /
/ Die Wegphasen als Raum- und Grenzerlebnis /


Johann Gottfried Seume (1) machte sich 1870 von Leipzig auf den Weg, um zu Fuß Sizilien zu erreichen. Lakonisch nannte er seine zweifellos anstrengende Reise über 4000 km bis zurück nach Leipzig "Spaziergang nach Syrakus". Auf seinem Weg über Prag und Wien stattete er auch Graz einen Besuch ab, den er in lebendigen Worten beschrieb, wie er auch den anderen Städten in ihrer Alltäglichkeit seine Aufmerksamkeit schenkte. Seume war mehr an den Stationen seiner Reise als am Ziel interessiert. Er ließ sich führen vom Schauen und Finden, für das sich sein vergleichendes Auge schärfte.

In einem Text "Zu Fuß. Literarische Wanderungen" setzt sich Georg Pichler (2) mit den Antrieben und Umständen dieser Reise auseinander : "Die Fußreise aber bestimmte nicht nur die soziale Form der Fortbewegung, sondern auch die Perspektive: wer zu Fuß geht, sieht nicht nur `anthropologisch und kosmisch` mehr, sondern es erhalten für ihn auch andere Dinge Wichtigkeit". Seume setzte sich dem Vorwurfs unstandesgemäßen Verhaltens aus, da nur Personen niedrigen Standes und ohne festen Wohnsitz zu Fuß gingen. Reisen nach Italien waren bei Vornehmen, Künstlern und Wissenschaftlern beliebt, aber nur mit Kutsche. Seume praktizierte in provokanter Weise die Langsamkeit und proklamierte: "Ich halte den Gang für das Ehrenvollste und Selbständigste im Manne, und ich bin der Meinung, dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge". Im erforschenden Abtasten des Weges mit allen ihm begegnenden Hindernissen, die auch zu Umwegen zwangen, hatte Seume eine neue Ebene der Raumerfahrung gewonnen.

Machen wir uns bewusst, dass sich ein Weg aus Wegstrecken zusammensetzt, die für sich betrachtet werden können und charakteristische Erlebnisgehalte vermitteln. Immer wieder sind Grenzen zu überschreiten, Unstetigkeitsstellen im Raum, an denen die Erfahrung des gegangenen Weges in die Erwartung des noch nicht bewältigten Weges umschlägt. Wie Kinder die nicht als Ganzes erfassbare Zeit in Ereignisse des Tages und das Ruhen der Nacht zerlegen, empfinden wir das Überschreiten jeder Weggrenze als "Nacht", die einen Tag abschließt und den nächsten einleitet. Damit sind auch Ängste verbunden, denn Grenzerlebnisse führen an die Randzonen unserer Existenz, Geburt und Tod. In der Ambivalenz der Grenzerfahrung, wirksam auch als formbildendes Element der Grenzüberschreitung, wird das "Umkehrprinzip" deutlich, das der Freiheit des "Weg-Gehens" aus gesichertem Bestand entspricht.

Mit den Wegphasen befasst sich in systematischer Weise der Schweizer Arzt und Psychotherapeut Fred Fischer (3) in seinem Werk "Der animale Weg". Er sieht Entsprechungen im Wegverhalten von Mensch und Tier, indem ein Wegsubjekt auf charakteristische Weise vom Raum Besitz ergreift: "Alles, was die Beziehung zum Raume vom Subjekt aus distanzmäßig ändert, vollzieht sich auf Wegen. Unter bestimmten Umständen hinterlässt die Ortsveränderung des Subjekts Spuren, die zusätzlich durch Bauten und.....fixiert werden können. Die fixierten Wege haben selbst konkrete, oft artspezifische Raumdimensionen, wobei die Begrenzungen sichtbar oder unsichtbar sein können......." Er schreibt, dass jeder Weg ein durch zahlreiche Faktoren streng determiniertes schicksalhaftes Ereignis ist. Es kann durch kleinste Bewegungsimpulse verändert werden, einmal als Beschleunigung des Weges oder durch Hemmnis des Weges. Durch Aufbrechen und Rückkehr werden die Orte in eine Weghierarchie eingebunden, in der Raumgeschehen und Zeitgeschehen sich anschaulich verbinden. "Eingespannt zwischen dem Ausgangsort als Heim und Ankunftsort als Ziel können wir ein zweifaches Weggefälle unterscheiden: das Heimgefälle und das Zielgefälle. Dieser Janusaspekt des Weges beherrscht das Wegverhalten bis ins Wegelement, als welches wir den Schritt......, allgemein die Einheit innerhalb des Bewegungsablaufes von Widerstand zu Widerstand, von Halt zu Halt definieren können". Entlang der Wegstrecke findet eine ununterbrochene Umpolung zwischen Heimgefälle und Zielgefälle statt, da jeder Ort, der verlassen wird, Heimcharakter und jeder Ort, der angestrebt wird, Zielcharakter hat. Auf der allgemeinsten Ebene ist jeder Weg ein Teil des Lebensweges, auf dem wir durch unsere Gedanken und Träume geleitet werden. Alle unsere Verhaltensweisen sind Wegprozesse, die auf Ziele gerichtet werden, seien sie selbst gewählt oder vorgegeben. Sie fügen sich zu einem Ganzen.

Fischer unterscheidet 10 Wegphasen, die in ihrer Eigenart und in Bezug auf das Erfassen des Raumes, vorzugsweise als Entwurfsprozess, beschrieben werden sollen. top

 









Foto: Archiv Werkgruppe


Foto: Archiv Werkgruppe


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Foto: Archiv Werkgruppe

 







 
(1) Johann Gottfried Seume, "Spaziergang nach Syrakus", Hrsg. U. Komm. Albert Meier, 5. überarb. Auflage, dtv., München 1997
(2) Georg Pichler, "Zu Fuß. Literarische Wanderungen", in: 1945 1989-2000: Momentos de lengua, literaturas y culturas alemanas. Actas de la X Semana de Estudios Germanicos. Madrid: Universidad Complutense 2003, 219 - 229
(3) Fred Fischer, "Der animale Weg"; Wegphasen und Weghindernisse, Das Bild der Landschaft, Verlag für Architektur, Artemis, Zürich 1972