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WEGHAFTES. ARCHITEKTUR UND
LITERATUR
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5.0 /
/ Werner Hollomey, Eugen Gross:
DAS POETISCHE LÄCHELN DER ARCHITEKTURSKIZZE /
Die Skizze lächelt dich
an. Sie kommt dir entgegen, sie zieht dich unbemerkt an. Sie verspricht,
aber sie sagt nicht zu. Du kannst sie nicht vereinnahmen, nicht Macht
über sie ausüben. Wie ein Gedicht, das als Laut- und Windhauch
durch den Raum schwebt. Eher dem Hören als dem Sehen verbunden, auch
wenn du ihr ins Gesicht schauen kannst. Wie einer Frau, die den Kopf leicht
zur Seite dreht, und dennoch ihre Augen aus dem Augenwinkel auf dich richtet.
Die Architekturskizze ist der Raum, dem du auf der Suche nach Wegen und
Orten begegnest. Ein Bühnenbild für unsere stillen Begegnungen
mit dem Überraschenden, Spontanen.
Das Wort Skizze ist dem italienischen schizzo entlehnt und bedeutet eigentlich
`Spritzer, Farbfleck`. Etwas Hingeworfenes, ein flüchtiger Entwurf,
ein schneller zu Papier gebrachter Gedanke sind gemeint. "Vom Gehirn
aufs Papier" charakterisiert Walter Zschokke
in einer Pressekritik eine Architekturskizzenausstellung in Innsbruck
(Presse 6./7.3.2004).
Der landläufige Ausdruck "In der Kürze liegt die Würze"
trifft unzweifelhaft zu. Dornseiff`s "Der deutsche Wortschatz"
entnimmt man die Assoziationskette zu `Kürze`: in großen Zügen
- andeuten - erraten lassen - skizzieren - umreißen - anschneiden
- antippen - abgerundet - abstrakt - aphoristisch - bündig - dicht
- distinkt - dürr - eindringlich - eingedickt - einsilbig - epigrammatisch
- exakt - gedrängt - gelungen - geschlossen - karg - kernig - knapp
- konzis - kurz - komprimiert - lakonisch - lapidar - prägnant -
zugespitzt - kurz angebunden. Sie vermittelt uns, dass die Skizze auch
verschieden aufgefasst werden kann, von verbindlich bis unverbindlich,
von anregend bis abweisend. Offensichtlich ist der Kontext, in dem sie
in unseren Kommunikationsweisen steht, dafür maßgebend.
In unserer Kultur neigen wir dazu, die Skizze als unvollständige
Vorstufe eines später ausgereiften Werkes zu sehen. Das trifft besonders
auf die Entwurfsskizze zu, wenn wir daran denken, wie viele Skizzen in
den Papierkorb wandern, bis ein Plan entsteht. Konrad Wachsmann verbot
es, bei seinen Seminaren im Atelier Papierkörbe aufzustellen, weil
dadurch viele wichtige Gedankenschritte verloren gehen. Betrachten wir
dagegen die Kultur des Ostens, werden wir eine ganz andere Einstellung
beobachten. Im Skizzenbuch des chinesischen Meisters Ch`i Pai-shih stellen
die flüchtigen Pinselstriche seiner Naturdarstellungen die vollkommenste
Anschauung dar, die möglich ist. Freilich einer Flüchtigkeit,
die der im Üben der Kalligrafie angeeigneten Konzentration entspringt.
Diese aber ist mehr als der Schriftzug einer Hand, sie vermittelt den
ganzen Menschen. Der Atem, der den Körper durchfließt, setzt
sich im Strich fort. Das kompositorische Set der nuancierten Pinselzeichnung
verbindet sich darüber hinaus noch mit der das Blatt einfassenden
`Säule` der sorgfältigen Schriftzeichen am Rande, womit Zeichnung
und Gedicht verschmelzen. In der japanischen Kunst hat sich daraus die
Differenzierung der Stile entwickelt, vom hochformalen `Shin-Stil` über
den semiformalen `Gyo-Stil` zum freien, kursiven `So-Stil`. Die Skizze
ist darin nicht die Niederschrift einer Vorstufe, sondern in der Gewinnung
von Freiheit eine Annäherung an das Innen. So wie der intimste Bereich
im Tempel, der Wohnbereich der Mönche, der Gestaltung im `So-Stil`
vorbehalten ist.
Die Skizze wendet sich nicht nach außen, sie ist eine Selbstbefragung
nach innen. An ihr kann erprobt werden, was unsere inneren Beweggründe
und Absichten sind. Sie ist ein Abtasten der Aussenwelt, an der prekären
Grenze zwischen vitalem Drang und lebenssichernder Bedingung. Ihr aphoristisches
Aufblitzen provoziert unmittelbare Reaktionen, von denen wir ablesen können,
ob wir angenommen werden. Sie kann wieder verworfen werden, nicht ob ihres
formalen Gelingens, sondern allein auf Grund unseres selbstkritischen
Gewissens. Im Umgang mit ihr tritt Umkehr auf, erfahren wir Resonanz.
Otto Antonia Graf schreibt in einem Essay zum Buch von Gustav Peichl `Back
to the pen - bach to the pencil`: "Das Zeichnen ist und verwirklicht
das Lieben des Menschen, die baukünstlerische Überwelt des Gestalteten;
das Gestaltenreich folgt daraus. Es ist die Selbstverwirklichung des Lebens..........durch
die sich die Dichtkunst des Lebens, des Lebendigen und Verlebendigen bezeugt.
Durch das Zeichnen allein hat die Architektur Sinn, Sein und Sinnlichkeit:
Dasein".
Architekten haben zu allen Zeiten gezeichnet, und werden es weiter tun.
Dazu bedienen sie sich der Hand, die ein Werkzeug der Seele genannt wird.
Sie nimmt im System unserer Wahrnehmung eine herausragende Rolle ein,
indem sie mit größter Empfindlichkeit die Impulse des Gehirns
in das Setzen gezeichneter Spuren umsetzt. Zugleich beeinflussen ihre
Empfindungen die Absichten des Zeichners, je nachdem, welches Werkzeuges
sie sich bedient und auf welche Widerstände des behandelten Untergrundes
sie stößt. Aus frühen Kindheitstagen nehmen wir jenes
Gefühl mit, das - wenn es nicht verschüttet wurde - die Freude
an der zeichnerischen Bewegung des Kreisens, Ziehens oder Tippens in die
ausgereiftesten Zeichentechniken mitnimmt. Nochmals zurückkommend
auf eine Pressekritik von Walter Zschokke zum zeichnerischen Habitus im
Werk des portugiesischen Architekten Alvaro Siza (Presse 25.1.2003): "Dabei
geht es um ein Einüben der Verbindung von Auge, Hirn und Hand. Denn
was nicht gesehen, nicht erkannt wurde, lässt sich schwer zeichnen.
Neben dem Führen des Stiftes wird das genaue Hinsehen geübt,
aber ebenso das Schauen, jener vorerst absichtslose Blick auf die Gesamtheit,
der dem Wesen hinter den Oberflächen nachspürt, bei dem Erinnern
und Vergleichen verständnisbildend dazukommen".
Die Architekturskizze umgreift eine große Spannweite, von der kalligrafischen
Metapher - der "schöne" Strich - über die impressive
Erfassung einer räumlichen Situation bis zu den durch Gedanken gelenkten
ersten Entwürfen eines Raumbildes. Es lassen sich `Halbtöne`,
Zwischenstufen erkennen, die einerseits den malerischen Charakter einer
Zeichnung, andererseits konstruktive Aspekte hervortreten lassen. Abgesehen
vom Inhalt einer Darstellung ist der "Strich" das entscheidendste
Merkmal einer Zeichnung. Er ist für das geübte Auge ein Identifikationsmerkmal
wie der individuelle Fingerabdruck eines Menschen. Noch wurde eine Stilgeschichte
des Striches nicht geschrieben, doch vermitteln Architektur- und Zeichenbücher
- wie auch grafische Arbeiten von Künstlern - über das Dargestellte
hinaus die eigentlichen Intentionen eines Autors, die Poesie seiner Arbeit.
Einem Werk wie "Le dessin et l`architecte (1), entnehmen wir, dass
die Zeichnung des Architekten dort von der Skizze zum Plan umschlägt,
wo das Wollen in das Handeln übergeht. Beim Wollen mag die Darstellung
im Vordergrund stehen, beim Handeln die Anweisung für weiteres Tun.
Susanne K. Langer (2) sieht darin die Unterscheidung von Symbol und Anzeichen.
In der Skizze verdichtet sich der Gedanke, im Plan breitet er sich aus.
Wie bei den Farben das blaue Lichte die Energie sammelt, strahlt das rote
Licht diese aus.
Die geläufigste Form der Architekturskizze ist die Niederschrift
mit einem geeigneten Stift auf Papier, sei es dicht oder transparent.
An Stiften bietet sich eine Vielzahl an, dennoch verdankt der charakteristische
"Architektenstrich" seine Berechtigung vorrangig dem weichen
Bleistift. Als Anreger zum Kritzeln reizt zuweilen ein `object trouvee`
wie eine Tischserviette, eine Sandfläche - Christus soll als einzige
Darstellung einen Fisch in den Sand gemalt haben -, eine Tafel oder der
Beckenrand eines Schwimmbades, in das der Finger eingetaucht werden kann.
Dieser Erscheinungsweisen aus der Zeit unserer Praxis sind in Erinnerung.
Die Materialisation der Architekturskizze kann aber auch in einer Collage,
einem skulpturalen Fragment oder einem Strukturmodell liegen.
Die Skizze des Architekten ist die einem Keim gleichende Reduktion auf
den "Kern" eines räumlichen Gedankens, ist gezeichnete
Lyrik. Die Neugierde wird geweckt, welche Geschichte dahinter steht.
Orte und Wege sind es, die von der architektonischen Skizze an das Licht
des Tages gebracht werden. Wegprozesse, die manchmal zur Ruhe kommen,
wenn eine Form wiederkehrt und Lebenswillen bezeugt. Nicht anders sind
die in der Reihe `Werkgruppe Lyrik` erschienen Gedichte "topoi",
Verdichtungen von Raum und Zeit. Eine topografische Lyrik als Absicht
hat den Weg gewiesen im Ausscheiden anderer lyrischer Texte. Im Grunde
sind wir den Freunden, die wir zur Veröffentlichung (ohne Honorar
!) einluden, auf unserem Weg begegnet. Wir nahmen sie auf eine Reise mit
in unsere Gedankenwelt, ebenso wie wir von ihnen unmerklich geleitet wurden.
In der `Hand-Schrift` des Zeichners und Dichters treffen sich beide wie
im `Heiku`, wo Wort und Bild sich nicht voneinander trennen lassen.
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Im klaren Wasser
Taucht meine Seele unter
Am Grund die Steine
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Im Blick auf die Zeichnungen von Werner Hollomey, die er seinen umfangreichen
Reisetagebüchern entnimmt, findet die Architekturskizze zu ihrem
Eigentlichen zurück:
"Orte sind manifest gewordene Gedanken, Engramme von an ein Ziel
gekommenen Wünschen, Träumen, Mühen; aber auch von Abstürzen
und Niederlagen. Sie sind die Synapsen im Geflecht möglicher Wege.
Orte können allein in unseren Gedanken existieren: eine Erinnerung,
eine Beziehung, ein Traum. Oder aber in Stofflichkeit gefüllt: unser
Haus, die Stadt in der wir wohnen, ein Tal, die Weite des Meeres, oder
die Stille der Wüste. Orte sind Rastpunkte unserer Seele, Zeichen
gewordene Identität. Orte können Friede, Aufgehobenheit, Beheimatung
vermitteln. Sind aber auch Brutstätten von Unzufriedenheit und Aufruhr,
Stätten möglicher Einsamkeit inmitten von Fülle; von Fülle,
die es schwer macht, sie noch zu ertragen. Orte sind verdichtete Gegenwart,
in die alle Welt seit ihrem Beginn gefüllt ist, Gegenwart, ohne die
dem Leben kein Sinn zukommt.
Die Bilder, die wir gewinnen, sind unsere ganz persönlichen, von
aller Intimität unseres Seins bestimmten Bilder und ihr Gehalt an
Objektivität sinkt mit dem Maß, als wir auch unsere Seele zu
ihrer Wertmessung zulassen. Was wir aber damit gewinnen, ist vielleicht
eine beseeltere Welt, in der auch Dingen plötzlich eine Persönlichkeit
zuwächst. Und so kommt es, dass dir mit deinem Reisen unerwartet
Freunde entstehen, deren Sprache du verstanden hast, ehe du ihnen überhaupt
begegnet bist."
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Im Blick auf die Zeichnungen von Werner Hollomey, die er seinen umfangreichen
Reisetagebüchern entnimmt, findet die Architekturskizze zu ihrem
Eigentlichen zurück:
"Orte sind manifest gewordene Gedanken, Engramme von an ein Ziel
gekommenen Wünschen, Träumen, Mühen; aber auch von
Abstürzen und Niederlagen. Sie sind die Synapsen im Geflecht
möglicher Wege. Orte können allein in unseren Gedanken existieren:
eine Erinnerung, eine Beziehung, ein Traum. Oder aber in Stofflichkeit
gefüllt: unser Haus, die Stadt in der wir wohnen, ein Tal, die
Weite des Meeres, oder die Stille der Wüste. Orte sind Rastpunkte
unserer Seele, Zeichen gewordene Identität. Orte können
Friede, Aufgehobenheit, Beheimatung vermitteln. Sind aber auch Brutstätten
von Unzufriedenheit und Aufruhr, Stätten möglicher Einsamkeit
inmitten von Fülle; von Fülle, die es schwer macht, sie
noch zu ertragen. Orte sind verdichtete Gegenwart, in die alle Welt
seit ihrem Beginn gefüllt ist, Gegenwart, ohne die dem Leben
kein Sinn zukommt.
Die Bilder, die wir gewinnen, sind unsere ganz persönlichen,
von aller Intimität unseres Seins bestimmten Bilder und ihr Gehalt
an Objektivität sinkt mit dem Maß, als wir auch unsere
Seele zu ihrer Wertmessung zulassen. Was wir aber damit gewinnen,
ist vielleicht eine beseeltere Welt, in der auch Dingen plötzlich
eine Persönlichkeit zuwächst. Und so kommt es, dass dir
mit deinem Reisen unerwartet Freunde entstehen, deren Sprache du verstanden
hast, ehe du ihnen überhaupt begegnet bist."
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Eugen Gross beim Skizzieren auf einem Segeltörn 1985
Foto: Michael Csoklich
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(1) "Le dessin
et l'architecte", Excursions dans les collections de
l'academie d'architecture, Les editions du demi circle Paris,
1992
(2) Susanne K. Langer, "Philosophie auf neuem Wege",
Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, S. Fischer
Verlag, Erstausgabe Harvard University Press, Cambridge, Mass.,
1942
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