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WEGHAFTES.
ARCHITEKTUR UND LITERATUR
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4.0.
/ ARCHITEKTUR UND LITERATUR -
eine morphologische Annäherung /
4.0.1 /Alfred Kolleritsch im Gespräch mit
Eugen Gross - was uns verbindet/
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EG: In dem Buch "Poetik der
Grenze" (1) von Markus Jaroschka und Dzevad Karahasan schreibt der
slowenische Dichter Uros Zupan "Dichtung ist die visionärste aller
Künste". Er meint, dass in der Dichtung ein Dämon die Hand des Dichters
führt und ihm damit ein neues Land erschließt. Die Architektur scheint
eher diesseits jener Grenze zu liegen, da sie im gleißenden Licht der
Gegenwart sich allzu nüchtern darbietet, gesellschaftlich vielen
Bindungen ausgesetzt und von unzähligen Hemmnissen gezeichnet. Dieses
gilt sowohl für ihr Zustandekommen als auch ihre Akzeptanz in der
Öffentlichkeit. Hinter ihr steht offensichtlich kein hilfreicher Dämon,
und wenn schon einer, dann eher ein böser. Hast du ein Problem mit der
Architektur ?
AK: Ich glaube, man müsste, um sachgerecht zu reden, die Dinge trotz
ihrer unterschiedlichen Bedingungen auf einen Punkt zurückführen, wo
sowohl Dichten als auch Bauen, oder wenn man so will, Denken, einfach
Notwendigkeiten sind. Es ist immer wieder von den Dichtern behauptet
worden, dass die ursprünglichste Kunst die Dichtung sei, da sie die
"Behausung" des Menschen schlechthin darstelle. Ich zitiere dazu Martin
Heidegger: " Die Sprache ist das Haus des Seins überhaupt". Von dort
gehen andere Bewältigungen des menschlichen Daseins aus, wie
beispielsweise in der Musik Räume installiert werden. Es geht immer um
die Beherrschung des Raumes, des unendlichen Raumes, des Wohnraumes.
Mit der Sprache gliedert sich etwas, strukturiert sich ein Sachverhalt,
wird Bedeutung aussagbar. Die "Kritik der Reinen Vernunft" von Emmanuel
Kant kann als Bauplan angesehen werden, der zeigt, wie ein
Weltverständnis zustandekommt. Es berührt den alten Streit in der
Philosophie bis zurück auf Platon, wo die Höhle eine Rolle spielt, ob
man im Denken eines weiteren Deckraumes bedarf, in den man hineingehen
kann und umfangen wird. Und gerade da ist es seit jeher die
unverzichtbare Aufgabe der Architektur, unter Aufbietung verschiedener
Materialien sichtbar zu machen, wie der Mensch auf dieser Welt
Aufenthalt nimmt und sich für diesen Aufenthalt einrichtet. Das gilt
von den einfachsten Höhlenwohnungen bis zu Hütten und Häusern, wo der
Mensch demonstrativ auf sein Wohnen hinweist und in der Unendlichkeit,
der Unfassbarkeit des Weltraumes über uns, sich seine Räume schafft.
Nur ist es kein bloßes Raumschaffen im Sinne einer Abgrenzung eines
Innen- von einem Außenraum. Man muss nur in eine riesige Hallenkirche
gehen, da erleben wir zwei verschiedene Räume. Solche Räume versammeln
gleichsam in sich eine Botschaft. Es geht nicht um ein Aufrichten von
Materie, da wird Himmel und Erde eingesammelt in dem Raum, der gebaut
wird. In diesem Raum wohnt der Mensch, ob es sich nun um eine
Heimstätte handelt oder eine Kirche, wo der Mensch in Verbindung mit
dem Göttlichen, wie immer man es nennen mag, ist. So glaube ich, dass
die Architektur ebenso wie die Dichtung letztendlich gleich
ursprünglich ist und den großen Raum einfängt in vielen Räumen, die die
Welt bewohnbar machen.
Wenn Goethes`s Faust ausspricht, dass der "strebende Mensch unbehaust
ist", so muss man das ganz ernst nehmen. Der eine sucht seine Behausung
eben in der Dichtung, der andere erfüllt den leeren Raum mit Klang und
die Architektur demonstriert, wahrscheinlich am auffälligsten, die
Beherrschung des unendlichen Raumes und schafft das "Wohnen". Ich
beziehe mich mit ihm übereinstimmend auf Martin Heideggers Aufsatz
"Bauen, Wohnen, Denken", in dem diese Einheit dargelegt wird. Man kann
selbstverständlich Rangordnungen schaffen, aber im Grunde gehören alle
künstlerischen Äußerungen zusammen, sind nicht voneinander zu trennen,
bleiben Bemühungen, sich im Dasein einzurichten mit der Kraft des
Geistes und der Phantasie vor dem Horizont des Endlichen.
Man kann ja zurückgehen bis auf die Funktion des Wohnens bei den
Tieren, die auch den großen Raum nützen, um darin ihre
Lebensbedürfnisse befriedigen. Beim Menschen kommt noch dieses
"Zusammensein" dazu, das ihn in seiner Vergesellschaftung veranlasst,
dem Hinschwindenden Dauer geben zu wollen. Architektur kann in ihrer
bedeutungsvollen Sprache dem "logos", der schöpferischen Idee, in der
Zeit Gestalt geben. Die Architektur ist dauerhaft, bleibt sichtbar.
EG: Wenn Architektur diejenige Kunst ist, die Dauer sichtbar macht, wie
steht es dann mit temporären Bauten hohen architektonischen Anspruchs,
beispielsweise Leistungen einer auf Leichtigkeit und Transparenz
gerichteten Ingenieurbaukunst ? Schließlich haben nomadische Kulturen
auch solche anzuerkennende Leistungen erbracht. Da sich unsere mobile
Gesellschaft in neuen Technologien und Materialien mit als Provisorium
herausgestelltem Charakter manifestiert, können wir dann noch von
Architektur im klassischen Sinn sprechen?
AK: Sicher nicht im klassischen Sinn, aber von Architektur als
Heimatsuche. Der Begriff der Heimat erfährt Wandlungen, aber immer noch
bleiben die Orte, die mit unseren Grenzerfahrungen wie Geburt, Reife,
Partnerschaft, Sehnsuchtserfüllung und Tod verbunden sind,
Heimaterfahrungen. Unsere abendländische Kultur hat seit Aristoteles
das Heimatschaffen in den Vordergrund gerückt, indem der Mensch
derjenige ist, der etwas hervorbringt und dauernde Gebilde schafft.
Seine Ableitung der causa materialis-der Stoff, der causa formalis-die
Formgebung, der causa effiziens-der Schaffensakt mündet in der causa
finalis, dem hervorgebrachten Werk. Im Grunde beruht Aristoteles`
Philosophie auf dem Handwerk. Dieses Werk, auf die Architektur bezogen,
ist das Haus unter dem Himmel, gleichwohl, ob es als Suche oder
Schaffen von Heimat zustande kommt. Wenn es unseren Lebensvollzügen
eine Heimstatt gibt, erfüllt er ein elementares Bedürfnis des Menschen.
EG: In dem anfangs zitierten Buch fand ich den Satz. " Die Dichtung
schmuggelt in unsichtbaren Gefäßen den Kern des Menschen über die
Grenze." Da finden wir die Idee des Gefäßes, die offenbar für die
Dichtung wie für die Architektur signifikant ist. Nicht nur, dass
Gefäße für unsere Nahrungsaufnahme lebenswichtig sind und in früher
Zeit auch der Bestattung des Leibes dienten, können wir auch im Haus
das Gefäß des Lebens sehen. Es spiegelt unsere Lebenszyklen, Tag und
Nacht, Winter und Sommer, Aktivität und Passivität, überschäumende
Lebensfreude und sich verschließende Traurigkeit. Architektur ist die
Hülle, die mit uns atmet und pulsiert, wie von einer dritten Haut
gesprochen wurde.
AK: Man kann das Gedicht auch als Gefäß sehen. Es hat lange Zeit die
Prosa weniger Funktion gehabt als das in die Form Gegossene, die
Dichtung. Es ist das, was heute die Dämonen bereithalten, eben die
Eingebung. Neben den Praktikern, die sich durchsetzen, hören die
anderen die Stimmen, die den Weg weisen. Ihnen tut es gut zuzuhören.
Und zuzuschauen, wie sie aus Nichts und "für nix" ein Werk schaffen. Am
Gefäß veranschaulichte Lao Tse, dass das Wesen des Raumes die Leere ist.
EG: Zurückkommend auf den Gedanken, dass die Sprache das erste Haus
ist, nehme ich Bezug auf Friedrich Weinreb`s "Der göttliche Bauplan der
Welt" (2), der sich dem Menschen in seinen aufmerksamen Wachträumen
erschließt. Vom einfachsten Werkzeug, über die stillen Orte des Wohnens
bis zu den wagemutigsten Konstruktionen ist er uns zugänglich.
Allerdings müssen wir ihn nachvollziehen nach den uns gegebenen
Möglichkeiten. In welchem Maße können wir im Zusammenfügen von Sätzen
und Bausteinen eine Poesie erkennen?
AK: Man muss die ganze Menschheitsgeschichte mit einbeziehen. Das gilt
von Anfang an, indem der Mensch sich Welten erbaute. Immer muss man den
Prozess des Entstehens mitdenken, wenn man sich mit einem Werk befasst.
Dem Künstler fällt es zu, jenes Einrichten in der Welt nicht nur im
abstrakten Raum zu vollziehen, sondern mit Sinnlichkeit auszustatten.
Jener "Kern" des Menschen, den der Dichter über die Grenze der
Sichtbarmachung schmuggelt, ist sein umfassendes sinnliches Potential,
das zur Bedeutung ruft. Das gilt für den Poeten wie den Architekten.
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(1) "Poetik der Grenze", - Über die Grenzen sprechen
- Literarische Brücken für Europa, Hrsg. Dzevad Karahazan und Markus
Jaroschka, Steirische Verlagsgesellschaft, Graz 2003 |
(2) Friedrich Weinreb, "Der göttliche Bauplan der
Welt", Der Sinn der Bibel nach der ältesten jüdischen Überlieferung,
Origo Verlag Bern, 1978 |
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Zu Alfred Kolleritsch, langjährigem Vorsitzenden des Forum Stadtpark,
besteht seit den Gründungstagen des Forum eine enge Freundschaft. Als
Herausgeber der "manuscripte" hat er nicht nur zahlreichen Literaten
den Weg bereitet, sondern auch den bildenden Künstlern und Architekten
eine Plattform zur Selbstdarstellung geboten. Im Forum hat sich
erstmals eine Künstlergruppe zusammengefunden, die das Gespräch
zwischen Literaten, Malern, Bildhauern, Fotokünstlern, Medienfachleuten
und Architekten in Verfolgung einer gemeinsamen Programmatik suchte.
Das Gespräch mit dem Dichter Alfred Kolleritsch will diesen Spuren
nachgehen.
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