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WEGHAFTES. ARCHITEKTUR UND
LITERATUR
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4.0.
/ ARCHITEKTUR UND LITERATUR -
eine morphologische Annäherung /
4.0.3
Paul Jandl - Flaubert`s Wäscheleine - eine kleine Skizze über Literatur
und Architektur/
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Gustave Flaubert hängt
in seinem 1881 posthum erschienenen Roman Bouvard et Pécuchet die
Wäsche auf: "Tischtücher, Laken, Handtücher hingen,
mit Holzklammern an gespannten Leinen aufgehängt, vertikal herab."
Weil Flauberts besessener Genauigkeit nichts entgeht, besteht der Mathematiker
im Dichter darauf, dass das lose Flattern eine geometrische Logik bekommt.
Die Wäsche hängt "vertikal herab".
Zwischen Ingenium und Ingenieur herrscht ein fröhliches Einverständnis,
das nicht nur im Fall des wirklichkeitsfanatischen Franzosen für
einen "Exzess an Präzision" sorgt, wie Roland Barthes sagt,
sondern das für die Moderne insgesamt konstitutiv ist. Wo die Welt
ihren metaphysischen Zauber verliert, tritt die Physik in ihr Recht. Wer
Romane schreibt, ist nicht länger ein Handlanger der göttlichen
Schöpfung, sondern ein Kreativer auf eigene Faust. Und man verrennt
sich, so wie Flaubert, auf eigene Rechnung. Man kann die Präzision
auch bis zum Aberwitz ihres Gegenteils treiben.
In der Moderne ist Schluss mit dem Hokuspokus höherer Ordnungen,
jetzt geht es um vergleichsweise weltliche, das heißt technische
Ordnungen und darum, dass Literatur "gemacht" ist. Literatur
ist Konstruktion und damit der Architektur höchst verwandt. Aus dem
Material des Sinns, der Grammatik, der Wörter, der Laute und der
Schrift konstruiert der Schriftsteller eine Welt. Er baut sie auf, in
dem er ihre Einzelteile zueinander in Beziehung setzt, sie gegeneinander
verschiebt und mit Gewichtungen versieht. Von Arno Holz' "Phantasus-Gedichten",
Stephane Mallarmés "Würfelwurf" und Guillaume Apollinaires
"Calligrammes" führt der Weg später zur konkreten
poesie, von der Eugen Gomringer, einer ihrer Gründerväter, sagt,
dass ihr "ein baugesetz" innewohnt: "wie in der architektur
gilt für die sichtbare form der konkreten dichtung, dass sie gleich
deren struktur ist."
Wer in diesem Sinn heute schreibt, ist ein "Weltarchitekt",
allerdings ohne sich deshalb am Pathos, das den Begriff "Welt"
in Kunstdingen umgeben kann, beteiligen zu müssen. Die Welt ist eben
- ganz nüchtern betrachtet - alles, was der Fall ist. Und wenn bei
Ernst Jandl "auf dem land" die "rininininininininDER brüllüllüllüllüllüllüllüllEN"
so ist das nicht weniger nachgebaute Natur als etwa in Gerhard Rühms
endlos-experimentellen Weiten. Rühm entwirft in seiner "abhandlung
über das weltall" gewissermassen eine Architektur des Universums,
er entwirft den Kosmos neu - jedoch "populärwissenschaftlich",
wie er einschränkend vorausschickt. Beeindruckend sind die weit ins
Graphische reichenden Baupläne zu diesem "text für einen
sprecher". Was mit einer ungefähren Beschreibung der Grösse
des (lautschriftlich so bezeichneten) "sonensüstems" beginnt,
setzt sich fort in physikalischen Bemerkungen zu den Temperaturen im All
und den Formen der Planeten. Es ist ein in der Folge kompliziertes Experiment,
das die Architektur des Weltalls und ihr Verglühen in der Sprache
noch einmal nachbaut. Sukzessive ersetzen im Text die in der deutschen
Sprache oft vorkommenden Phoneme die weniger häufigen. Am Ende bleibt
die Leere und das "e". Der Zustand der maximalen Entropie ist
erreicht. "die sprache ist", sagt Gerhard Rühm, "adäquat
der entwicklung des weltalls, gleichsam den wärmetod gestorben".
Mit diesem Teil des Werks von Gerhard Rühm ist Heimito von Doderer,
bei dem ja gewissermaßen das Bürgertum den Wärmetod stirbt,
nur in einem Punkt zu vergleichen. Seine Utopie des "totalen Romans"
fordert wie Rühms Welt-Modell ein Vorgehen streng nach Genauigkeit
und Plan. Umfassend sind Doderers Skizzen zur Architektur seiner großen
Romane "Die Strudelhofstiege" und "Die Dämonen".
Was bei Rühm ein generöser Makrokosmos ist, war bei Doderer
ein penibel entworfener Mikrokosmos. Das Werk beider, so wenig sie sich
sonst auch ähnlich sein mögen, ist bestimmt von einer Idee der
Statik, einem tragfähigen künstlerischen Konstrukt, das gewissermaßen
den Bauplan der Welt repräsentiert. Die Massen seiner dicken Romane
hat Doderer zu einer präzisen Topographie geordnet, die nicht nur
zufällig seinem eigenen Alsergrunder Lebensumfeld und einer ganz
bestimmten bürgerlichen Architektur entspricht. Natürlich war
Heimito von Doderer kein experimenteller Autor. Aber er war ein Avantgardist
dreidimensionaler Virtualität. Seine zeichnerischen Skizzen entwerfen
die urbanen Landschaften einer tausendseitigen Redseligkeit, die dem üppigen
Stil der geschilderten Bürgerhäuser so sehr entspricht wie andererseits
der Minimalismus der gar nicht so viel späteren konkreten poesie.
Eine solide Mauer aus Schweigen baut etwa Eugen Gomringer in seinem Gedicht
gleichen Titels. In fünf Zeilen ist das Wort "Schweigen"
typographisch fest übereinandergemauert. Nur in der Mitte bleibt
eine rätselhaft-beredte Leerstelle. Das Gedicht ist auch wie ein
ironischer Reflex auf Doderers ausufernde Romanarchitektur zu lesen.
Aus den virtuellen Möglichkeiten des computerunterstützten Designs
holt die Architektur ihre neuen Formen. Und in ebendieser Virtualität
blüht auch die Literatur in neuem grenzüberschreitendem Leben.
Wenn in der sogenannten experimentellen Poesie die Konstruktion und Destruktion
von Sinn in zahllosen Formen ausprobiert wurde, so kommt aus der Software
der Schritt ins architektonische Privileg des Dreidimensionalen. Architektur
und Literatur verschwistern sich in Jeffrey Shaws Installation "The
Legible City" (1988-89), in der man mit einem Fahrrad durch einen
virtuellen Stadtraum fährt. Und weil dabei die bestehende Architektur
(etwa Manhattans) durch Texte und Buchstaben ersetzt wird, ist man mittendrin
in einer Landschaft, in der alle umständlichen Mühen der Literatur,
mit einem "Exzess an Präzision" konkret zu werden, obsolet
sind. Wo die Literatur baut und die Architektur dichtet, dort will man
trotzdem nicht sein. In Manhattan, im All und im Alsergrund mögen
die künstlerischen Erwerbszweige Architektur und Literatur getrennt
bleiben. Und wenn schon vereint, dann nur durch den Satz des mathematischen
Philosophen Novalis: "Schönheit", sagt Novalis auf unvergleichlich
moderne Art, "ist ein Erzeugnis aus Vernunft und Calcul".
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Paul Jandl ist Kunstkritiker, sprich Seiltänzer zwischen Kunst
und Literatur. Als anregender Feuilleton - Korrespondent der Neuen
Züricher Zeitung ist er dem österreichischen Leserkreis
in der Institution Kaffeehaus - auch in Graz angemessen vertreten
- bekannt. Dass er sich bereit erklärt hat, dem Bauen als "konkreter
Poesie" literarisch näherzukommen, freut uns außerordentlich. |
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