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WEGHAFTES. ARCHITEKTUR UND
LITERATUR
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3.3
Die Wegphasen als Raum- und Grenzerlebnis
/ Wegphase 3 /
/ DAS EINPENDELN DES WEGES - die Wegstrecke /

Ist einmal der Weg angetreten,
lässt es sich von jedem Punkt voraus- und zurückblicken.
Erstmals tritt das Umspringen von Heim- und Zielgefälle in Erscheinung,
indem die Erwartungen des angestrebten Zieles die Erinnerungen an das
Heim verdrängen. Die Einverleibung der Wegstrecke als Akt des Ernährens
und Verarbeitens ist für jenen Impulsüberschuß verantwortlich,
der dem ersten Schritt den zweiten folgen lässt. Dabei müssen
die materiellen Elemente als Aufbaustoffe integriert werden, seien sie
fest (Material) oder fließend (Kräfte). Der Entwurfsprozess
richtet sich auf die Minimierung der Mittel, die der Erreichung eines
Zieles dienstbar gemacht werden sollen. Sie können architektonischer
oder konstruktiver Art sein. Die Skizze oder Zeichnung weist den Weg weiter.
3.3.3/
Die Wegstrecke beschert uns in ihrer Neuartigkeit und Unvorhersehbarkeit
das Abenteuer des Weges. Veranlasste das Auftreten des Zielgefälles
zum ersten Schritt, so gewinnt dieses auf der Wegstrecke die Oberhand.
Das Ziel wird ins Visier genommen, das Risiko des Wegverlaufes eingegangen.
Alle Kräfte dienen der Erreichung des Zieles.
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/ 3.3.3 / Wegphase 3/ Projekte und Realierungen
/ Atelierhaus, Graz (1966) /
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Atelierhaus Graz
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Atelierhaus Graz
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Atelierhaus Graz
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Atelierhaus Graz
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Atelierhaus Graz
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(1)
Eugen Gross, "Form und Grenze", Vortragsmanuskript
eines Vortrages im Rahmen des Gastpieles des Forum STadtpark
im Theater am Kornmarkt in Zürich, 1964 (unveröffentlicht)
(2) Romano Guardini, "Der Gegensatz", Versuch zu einer
Philosophie des Lebendig Konkreten, Matthias-Grünewald-Verlag,
Mainz 1955
(3) Hugo Kükelhaus, "Urzahl und Gebärde",
Grundzüge eines kommenden Maßbewusstseins, Klett+Balmer
& Co. Verlag, Zug 1980 (3. Auflage) |
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/Atelierhaus, Graz [1966]/
Zur Planung eines Grazer Atelierhauses für Künstlerfreunde
des Forum Stadtpark nahmen wir bewusst das Risiko auf uns,
sowohl als Bauherr und Planer aufzutreten. Ein von uns initierte
Stiftung sollte der Träger des Projektes werden. Die
zukünftigen Nutzer waren unsere Gesprächspartner,
mit denen wir das Konzept entwickelten. Die Stadt Graz stellte
ein vorteilhaftes Hanggrundstück in Waldlage zur Verfügung,
erste Fördergelder gingen ein.
Im Entwurfsprozess bringt das verstärkte Zielgefälle
den programmatischen Charakter eines Entwurfes hervor. Für
uns ist der unmittelbar mit den Aktivitäten des Forum
Stadtpark verbunden, vor allem den Ausstellungen und Präsentationen
mit Malern, Bildhauern, Musikern und Literaten im In- und
Ausland. Anlässlich eines Gastspieles in Zürich
1964 las Eugen Gross (1) einen architekturtheoretischen Text
"Form und Grenze", der den Gegensatzgedanken Romano
Guardinis (2) auf die Gestaltungsprozesse untersuchte. Diese
Ansätze einer konkreten Philosophie lassen sich in den
komplementären Tendenzen der Differenzierung und Identität
fassen, die allem Lebendigen innewohnt. In anschaulicher Weise
entwickelte Hugo Kükelhaus in seinem Werk `Urzahl und
Gebärde`(3) das Polaritätsprinzip als `Grundzüge
eines kommenden Massbewußtseins`, wie er es nannte.
Darin geht er den inneren Gestaltungskräften auf den
Grund, die vom Menschen ausgehend die belebte und unbelebte
Welt durchdringen. Im Erfassen von Gesetzmäßigkeiten
als Erkenntnisleistung des Menschen - von der Psychologie
bis zur Quantenphysik heute bestätigt - regt er zu einem
leidenschaftlichen Eintreten für ein Menschenbild an,
das der toten Technisierung widersteht und Schleusen der Kreativität
des Einzelnen öffnet.
Der Entwurf des Grazer Atelierhauses 1964 kann als Visualisierung
des Manifestes "Kristallisationen" aufgefasst werden,
das später 1967 als Gedicht der Ausstellung und dem Katalog
vorangestellt wurde. Darin wird ausgesprochen, dass der in
den Raum ausgreifende Mensch den geistigen Prozess der Raumergreifung
nur paradox bewältigen kann. Jeder geschlossenen Form
als persönlichem Akt antwortet eine offene Form, die
die soziale Dimension realisiert. Aus einem begleitenden Text:
"Die beiden Raummodelle des aus einer Mitte sich aufbauenden,
von dieser ausstrahlenden positiven Raumes und des von seiner
Peripherie, den umgreifenden Kraftfeldern genährten negativen
Raumes stellen ein unaufhebbares Gegensatzpaar dar, das im
glücklichen Moment des Architektur gebärenden Augenblicks
seinen Ausgleich erfährt. Die grundlegende Bipolarität
der architektonischen Schöpfung liegt in der menschlichen
Psyche begründet, in dem Hang, sich sowohl zu behaupten
als auch aufzugeben, Raum schaffen und Raum auflösen".
Im Projekt des Atelierhauses treten die auskristallisierten
Kerne in ein Wechselspiel mit der den Gesamtraum überlagernden,
auf Endlosigkeit angelegten Dach-Gitterkonstruktion. Der einschränkende
Topografie in drei Stufen folgend, wird die Höhenstaffelung
des Erdgeschosses als `Kaskadenform` auf das Dachtragwerk
übertragen. Erdverbundenheit und Loslösung kontrastieren
miteinander, in der Betonung der Schwere des Mauerwerks der
Zellen wird die Leichtigkeit des aufgelösten Daches aus
Holz-Gitterträgern umso spürbarer. Das überwiegend
von oben herabfallende Licht des Himmels erfüllt den
Raum mit Helligkeit und vermittelt eine Naturbeziehung auf
besondere Art.
Die Problematik der Eigenbeauftragung stieß nach Vorliegen
der Planung und einer in den Grundzügen abgesicherten
Finanzierung auf eine unerwartete Hürde hinsichtlich
der Errichtung. Ein Reihe der interessierten Künstler
äußerten individuelle Änderungswünsche
an ihren Ateliers, die sie auf die besondere Art ihrer künstlerischen
Arbeit zurückführten, beispielsweise im Unterschied
der malerischen und skulpturalen Arbeit. Diesen Wünschen
konnten wir nicht entsprechen, sie hätten das Projekt
in ihrer Konsequenz aufgehoben. Wir verzichteten auf die Realisierung,
mit einem tränenden Auge. Die Ernüchterung fasste
Fuß auf dem Weg zum Ziel, die emotionale Umkehr mündete
in die reale, indem das Heimgefälle uns an den Beginn
architektonischen Aufbruchs zurückholte.
Dennoch, was wir mitnahmen war eine Lehre und eine Erkenntnis.
Das Ziel war uns nicht aus den Augen gekommen, nur seine Greifbarkeit.
Umso deutlicher zeichnete sich das Wegphänomen als Lebenslinie
ab, wie die Linien einer Hand auf den Menschen als Ganzes
verweisen. An der Wegführung in das Haus sind sie erkennbar.
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