WERKGRUPPE
GRAZ
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WEGHAFTES. ARCHITEKTUR UND
LITERATUR
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3.4 / Der Weg in der Architektur-auf konzeptueller
Spurensuche
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WEG UND ORT - die Erschließung des Raumes
3.4.2 / MANIFEST "KRISTALLISATIONEN"
Zur Architekturausstellung "Kristallisationen"
der Werkgruppe im Forum Stadtpark im Februar 1967 - der ersten Architekturpersonale
im Neuen Haus - entsteht der Text:
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Architektur - das ist die Geburt
Geborenwerden
Das Licht sinkt tief in die Augen und füllt sie
bis an den Rand
zum Überquellen
die Brust
saugt gierig ein die unerschaffenen Stimmen
des Universums
und lässt sie werden
Stimme, Laut und Wort
Architektur
ist die kleine Hand, die sich zur Faust ballt
und eine Welt erschafft
die Welt in der hohlen Hand
das Korn
die Ähre
das Körnchen Staub und Gold
Architektur
ist der feste Boden unter den Füssen
das irdene Reich
die reiche Erde
die trägt und gibt und nimmt
Architektur
hat es vorher nicht gegeben
Architektur erwacht zur Existenz
gezeugt
genährt
erschaffen
Architektur ist -
sie ist nicht geworden (dem Funktionalisten zum Trotz)
noch wird sie sein (dem Utopisten zum Hohn)
müßige Frage
ob das Ei zuerst gewesen ist oder die Henne
die Form folgt der Funktion (Sullivan)
die Funktion folgt der Form (Kahn)
sind keine
Alternativen
sie fallen auseinander, zerbrechen
unter dem Pfeil der Sonne
im Schatten des Mondes
vor dem Augenblick
eindeutiger
mehrdeutiger
vielschichtiger Augenblick
eingespannt zwischen Hoffnungen, Sehnsüchten und
Schmerzen
Grundbefindlichkeiten
Polaritäten des Raumes - der lebt, wirkt und spricht
eines unableitbar vom anderen
unvertauschbar miteinander
jedes
an seinem Ort
im System der Elemente
in der Diskontinuität des Raumes
in der Kontinuität der Zeit
Kristallisationen -
eingehüllte
lebendige Kerne
aufgebrochene
geöffnete Schalen
Emanationen des hier und jetzt
Kristallisationen der Architektur
geortete
Raumpolare
aus Quantitäten (Druck und Zug)
aus Qualitäten (Schließen und Öffnen)
aus Strukturen (finaler und kontinuierlicher Art)
verbunden
in einem Maß der Einschließung
der Gegensatz
das Lebendige
gegenüber
einem Maß der Ausschließung
der Widerspruch
das Tote
Architektur -
anschaulich gewordenes Leben
körperliche Plastizität
vitaler Spürsinn
erfüllt
von Tätigkeiten wie
Gastmählern
Spaziergängen
Parlamentssitzungen
Streiks
Ballspielen
Bücherlesen
Zornesausbrüchen
Hundefüttern
Sanftmut
Mut
Übermut
Hochmut
Hochhuth
niedergeschlagenen Revolutionen
Raum der Architektur -
in Zusammenziehen
und Abstoßen
pulsierend
Raumfelder
pendeln ein
zwischen Innen und Außen
Welt und Kosmos
Individuum und Gesellschaft
Kerne
verdichten
kristallisieren aus
lagern Materie um sich
bilden Raum
" das Blut im Kreislauf
vor dem Außen
Gestaltlosen, der Umwelt und Umzeit
Materie wird vom Sog ergriffen
Raum löst sich auf
" der Atem im Austausch
Architektur des Raumes -
aus der Paradoxie des Lebendigen geworden
feste Gestalt zu werden
aus dem unwiederholbaren
Augenblick
Architektur
Urgebärde des Menschen
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