WERKGRUPPE
GRAZ
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WEGHAFTES. ARCHITEKTUR UND
LITERATUR
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3.3
Die Wegphasen als Raum- und Grenzerlebnis
/ Wegphase 8 /
/DER STRECKENRÜCKWEG -.................................................
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Die Wegstrecke am Rückweg zeigt einen ebensolchen
Spannungszustand wie am erkundungsreichen Hinweg, nur mit dem Unterschied,
dass Ziel- und Heimgefälle identisch sind. Die Geschwindigkeit nimmt
zu, verbunden mit der Gefahr des Stolperns. Nur der Boden fängt auf.
Fischer: "Das Subjekt sucht im Raum, was es in der Zeit verloren
hat". Das Ziel ist tot, die Ankunft am Ausgangsort verspricht Beheimatung.
"Heimgehen" sind sowohl die bergende Heimkehr in den Mutterschoss
wie die Entäußerung des Todes. Der Streckenrückweg kann
die Form des Fluchtweges annehmen, da Angst und Furcht aus der mangelnden
Rückendeckung des verlorenen Zieles entspringen. Der Entwurfsprozess
wird in dieser Phase mit den sozialen Bedingungen konfrontiert, die eine
Lösung bedürfen. Sie durchdringen die Bauaufgabe, die kommunikativen
Netze und die Nutzung des Objektes. Levinas: "Das Denken am Anderen"
ist uns auferlegt.
3.3.8
Den Streckenrückweg zeichnet der reziproke Charakter des Streckenhinweges
aus. Je stärker er von diesem in seinem Verlauf abweicht, umso unabhängiger
wird er. Im Extremfall wird der zum Kreisweg wie in der Kontur des zu-
und abnehmenden Mondes. Der Streckenrückweg bedarf der Regeln, da
eine neue Orientierung auf das angestrebte Heim gesucht wird. Was der
Ariadnefaden für das Entkommen aus dem Labyrinth bedeutet, liegt
am Streckenrückweg in der Bewältigung räumlicher und zeitlicher
Hindernisse. Seine Gerichtetheit entscheidet über Ankommen und Verfehlen
des Heimes, Erfolg oder Scheitern der Heimkunft.
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/ 3.3.8 / Wegphase 8 / Projekte und Realierungen
/ Chirurgische Universitätsklinik Graz (1964)/
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Chirurgische Universitätsklinik
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/ Chirurgische Universitätsklinik
Graz [1964]/
In den Jahren 1902 - 1912 wurde auf einem höher gelegenen
Plateau des östlichen Grazer Beckenrandes der große
Komplex des Landeskrankenhauses im Jugendstil errichtet.
Zunächst wegen seiner vorausschauend konzipierten Größe
stark kritisiert - der verantwortliche Ingenieur des Landesbauamtes
Adolf Rosmann verübte wie der Erbauer der Wiener Staatsoper
Van der Nüll Selbstmord - erwies es im 1. Weltkrieg
als dringend notwendiges Lazarett seine Tauglichkeit. Der
Pavillontyp nach dem Vorbild der Virchhow`schen Berliner
Universitätsklinik, auf eine Kirche ähnlich der
Anlage der Heilanstalt Am Steinhof in Wien ausgerichtet,
erfüllte mit kleinen Adaptierungen bis nach dem 2.
Weltkrieg seine Aufgabe. Im Jahre 1964 wurde unser Büro
beauftragt, als erste große Erweiterung die 1. Chirurgische
Universitätsklinik neu zu planen, wobei eine enge funktionelle
Verflechtung mit dem weiter in Betrieb befindlichen Altbaukomplex
zwingend war. Neue Erfordernisse der Herzchirurgie und der
Neurochirurgie bezeichneten jenen Schwerpunkt, der neben
der Einrichtung von Bettenstationen für 345 Patienten
zu erfüllen war. Zugleich wurde das LKH mit der Anlage
eines Hubschrauberlandeplatzes für Notfälle und
einer für Österreich erstmaligen OP-Druckkammer
ausgestattet.
Als größtes Hindernis am Planungsweg erwies sich
der beengte Bauplatz nordöstlich der Gesamtanlage,
zudem durch eine Straße getrennt. Erste Erkundungen
ergaben, dass ein unterirdisches Verteilersystemsystem von
Versorgungstunnels im LKH besteht, das die freistehenden
Pavillonbauten zusammenband. Es wurde für Infrastrukturausstattung,
Material- und Personentransporte verwendet. Der aus der
Situation abgeleitete Planungsgedanke nahm strukturalistische
Prinzipien auf (35), die auf Kontinuität ausgerichtete
Strukturelemente mit akzidentiellen, zeitlich begrenzten
Raumansprüchen verbindet. Damit ermöglicht eine
vorgegebene, als heimorientiertes Kommunikationselement
aufgefasste Struktur partielle zielorientierte Entwicklungen,
die ihren flexiblen Charakter behaupten. Der Entwurf realisiert
das Konzept, im Zeitraum 1964 - 1971 wurde es umgesetzt.
Das 11- geschossige Hochhaus basiert auf einem hervorgehobenen
vertikalen Kommunikations-Turm für Lifte und Treppen,
der die horizontalen Netze im Untergeschoß auf Versorgungsebene
und im 1. Obergeschoß mit Anschluß an den Altbau
weiterführt. Im Untergeschossbereich sind zwei Ebenen
eines Strahlenschutzraumes und der abgesonderte Bereich
der Druckkammer angeschlossen, auf Dachgeschossebene hat
der Hubschrauberlandeplatz direkte Verbindung zum Kommunikationsturm.
Die OP - Einheiten sind im 1. Obergeschoß und 8. Obergeschoß
angeordnet. Die insgesamt 13 Bettenstationen greifen 2-
achsig in Winkelform vom Verteilerturm aus und ermöglichen
in dieser Weise eine symmetrische Erweiterung, die nunmehr
30 Jahre später beabsichtigt ist. Das konstruktive
Gerüst zeigt eine außenliegende Rahmenstruktur,
die im Inneren größtmögliche Flexibilität
gewährleistet. Der in schalreinem Beton errichtete
Bau hat in der Zwischenzeit zahlreiche innere funktionelle
Änderungen erfahren, an der Nordseite wurde im Jahre
2000 ein Versorgungsturm mit Anschluss an das nun automatisierte
unterirdische Versorgungssystem hinzugefügt (Planung
durch Arch. Di. Zernig).
Kein anderes Projekt wie die Planung der Chirurgischen Universitätsklinik
verlangte eine derart intensive Beschäftigung mit der
Situation des kranken Menschen wie den organisatorischen
Vorkehrungen, die seiner Behandlung unter humanen Bedingungen
zugrunde liegen müssen. Auch gezielte Studienreisen
in Europa dienten dieser Vorbereitung. Neben der Erfüllung
der medizinischen Ansprüche musste auf die Lebenssituation
vor allem in der Beschäftigung mit den Krankenzimmern
eingegangen werden. Der Entwurfsprozess enthüllte die
Janusköpfigkeit von Ziel- und Heimorientierung, die
der existentiellen Grenze zwischen Leben und Tod nahe ist.
Architektur unter dieser Kondition kann nicht Selbstverwirklichung
sein, sondern ist Dienst "am Anderen".
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