WERKGRUPPE
GRAZ
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WEGHAFTES. ARCHITEKTUR UND
LITERATUR
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3.3
Die Wegphasen als Raum- und Grenzerlebnis
/ Wegphase 10 /
/DIE EINHEIMUNG - die Ankunft..............................................
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Im Erreichen des Ausgangsortes gehen wir auf unsere Wurzeln
zurück. Das Heim ist die Brutstätte unserer Gefühle und
Gedanken. Die Psychologie verlegt sie bereits in den Mutterleib. Ziel
und Heim werden identisch. Am Weg waren Schwelle um Schwelle zu bewältigen.
Heimwelt und Fremdwelt, Vertrautsein und Fremdsein haben sich wechselseitig
ausgetauscht und Erlebnisse mit sich gebracht. Mit der Ankunft muss das
Heim um das durch Erfahrung gewonnene Territorium erweitert werden, um
den Lernprozess des Weges zu integrieren. Wird die Verarbeitung des Wegerlebnisses
unterlassen, kommt es zur Verirrung und zum permanenten Heimatlosigkeit.
Gelingt die Ankunft am Ziel, sind Ruhe und Zufriedenheit der Lohn. Die
Einheimung verschafft Orte der Kraft. Aus ihrer Sammlung kann ein neuer
Aufbruch erfolgen.
3.3.10/
Mit der Ankunft läuft das Heimgefälle aus, an seine Stelle tritt
ein Aufgefangenwerden. Ein Bewegungszustand schlägt in einen Ruhezustand
um, der Weg mündet im Ort. Wie die sprudelnden Wasser eines Flusses,
von der Quelle weg im Gefälle verflachend, vom Meer aufgefangen werden.
Doch im Delta, in seinen Mäandern aus der kreisenden Bewegung des
Wassers hervorgegangen, begegnen dem Strom die aufgestauten Wasser der
Flut des Meeres. Die kosmischen Anziehungs- und Abstoßungskräfte
werden sichtbar (1). Ebenso widersetzen sich der endgültigen Aufnahme
in das Heim die Konditionen der Erkennbarkeit und der Brauchbarkeit. "Schönheit,
Festigkeit und Nützlichkeit" forderte schon Vitruv für
Werke der Architektur. Beim Eintreten in das Heim verdichtet sich der
Weg, Zeit tauscht sich gegen Raum aus. Dieser muss bergend sein, Geborgenheit
vermitteln, indem er berührbar wird. Die physische Existenz des Menschen
bedarf der Hülle. Doch ein ewiges Verweilen wäre der Tod. Nur
das Licht führt aus dem Raum heraus, durch die Ritzen seiner Wandungen.
Im Zerbrechen des Gefäßes entspringt ein neuer Weg.
Beherbergung ist das ursprünglichste und ausschlaggebende Merkmal
der Architektur. Sie ist das Haus der Worte, die sich in räumlichen
Zeichen ausdrücken. Architekten suchen immer einen neuen Weg, um
an ein Ziel ihrer Vorstellungen zu kommen. Dieser neue Weg, von einem
Aufbruch ausgehend, kann nicht nur ein Ziel erreichen, das sich in einem
zeitbezeugenden Bau ausdrückt. Er führt auch wieder zurück
zu einem Heim-Ort, der als kulturelle "Heimat" auffängt.
Sie spiegelt sich in vielen Erscheinungen, die nach Pietschmann `intersubjektiv`
sind. In ihnen wird objektives Geschehen verinnerlicht, zum Erlebnisgehalt
verwandelt. Im Wegphänomen der janusköpfigen Schritte bis zur
Ankunft begegnet uns dieses erkannte Prinzip.
Der Umgang mit historischer Bausubstanz ist ein Prüfstein dieser
Haltung. Die Entscheidung für das Neue, das den Weg als Antrieb bestimmt,
mündet im auffangenden Ort, der das Alte annimmt. Es ist auch auf
einem Weg entstanden, der oft verdrängt ist. Die Auseinandersetzung
mit dem Gewordenen fordert auf, den Weg fortzusetzen und die Strukturen
in der Gegenwart zu entfalten.
Christian von Ehrenfels (2), der Begründer der Grazer Schule der
Gestaltpsychologie, hat ein Kriterium der "Gestalthöhe"
genannt, das der Einheit in der Vielheit die höchste Komplexität
und damit Wertigkeit zumisst. Eine Architektur, die auf den Grund einer
verborgenen Einheit zurückführt, realisiert das Umkehrprinzip
in folgerichtiger Weise. Was bleibt, ist die Masstäblichkeit und
Proportion, den Aussenbezug und den Innenbezug des architektonischen Werkes,
zu wahren. Diesen Intentionen folgte die kritische Auseinandersetzung
in der Planung des Grazer Congress. Die Feste, die in ihm gefeiert werden,
beantworten das Risiko des Vorhabens auf ihre Weise. Ein Preis wurde dem
Haus versagt.
(1)
Theodor Schwenk, "Das sensible Chaos", Strömendes Formenschaffen
in Wasser und Luft, Verlag freies Geistesleben, Stuttgart, 1984 (6.
Auflage)
(2) C. v. Ehrenfels, "Über Gestaltqualitäten",
1890, in: Hügli, A. /Lübcke, P. (Hg.:) Philosophielexikon.
Personen und Begriffe der abendländischen Philosophie von der
Antike bis zur Gegenwart. Reinbeck: Rohwohlt, 1991, S 214, :zur Grazer
Schule der Gestaltpsychologie
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/ 3.3.10 / Wegphase 10/ Projekte und Realierungen
/ Grazer Congress (1978-82)/
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/ Grazer Congress [1978-82]/
Seit nahezu 100 Jahren stellt der Komplex der Steiermärkischen
Sparkasse in der Grazer Altstadt im Geviert von Schmiedgasse,
Landhausgasse, Albrechtgasse und Sparkassenplatz mit seinen
Konzertsälen ein kulturelles Zentrum der Stadt dar.
1908 wurde der nach den Plänen der Architekten Leopold
Theyer und Friedrich Sigmundt, beide Lehrer an der Grazer
Staatsgewerbeschule, erfolgte Umbau des mehrfach adaptierten
Häuserkomplexes abgeschlossen und mit der Eröffnung
des Stefaniensaales der Öffentlichkeit zur Nutzung
übergeben. Neben den Institutsräumen der Sparkasse
waren eine Reihe anderer Funktionsbereiche wie Wohnungen,
Büros und Weinstube im Hause untergebracht. Da die
Steiermärkische Sparkasse in den Siebzigerjahren des
20. Jahrhunderts in unmittelbarer Nachbarschaft ein neues
Institutsgebäude errichtete, sollte für das Haus
ein neues Gesamtkonzept erstellt werden. Wir wurden daher
1977 vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung im
Einvernehmen mit der Sparkasse beauftragt, eine Studie über
die zukünftige Nutzung im Hinblick auf die Einrichtung
eines Kongresszentrums zu erstellen. Diese Studie bestätigte
die vorteilhafte Eignung des Hauses für Kongressveranstaltungen,
wobei die optimale Lage im Stadtgebiet mit der Atmosphäre
des innerstädtischen Raumes, das Vorhandensein notwendiger
Ergänzungseinrichtungen (Hotels, Sammelgaragen in der
Nähe etc.) und die örtlichen Voraussetzungen des
Raumangebotes dafür sprachen. Für das ausgearbeitete
Raumprogramm konnten das Erd- und das 1.Obergeschoß
herangezogen werden, wobei auch entsprechende Räume
für Ausstellungs- und Konferenzzwecke in Ergänzung
der historischen Säle (Stefaniensaal, Kammermusiksaal,
Blauer Saal) zur Verfügung standen.
Nach Beauftragung mit der Planung gelangte der Umbau des
Kongreßzentrums in den Jahren 1978 - 1982 zur Ausführung,
einige Jahre später wurde im Hause ein Casino eingerichtet.
Die Entwurfsaufgabe bestand grundlegend in der Integration
eines für Kongresserfordernisse optimal geeigneten
Raumangebotes in die historische Bausubstanz, die in ihren
wertvollsten Teilen erhalten und restauriert werden sollte.
Besonderes Augenmerk lag auf dem erstrangigen Konzertsaal
der Stadt, dem Stefaniensaal, der unbeschadet größerer
infrastruktureller Eingriffe (Heizung, Lüftung, Elekroanlage
etc.) in seiner hervorragenden akustischen Qualität
nicht beeinträchtigt werden durfte. Für die den
brandschutztechnischen Bestimmungen entsprechende Erschließung
mussten eine Reihe von inneren Abbrüchen erfolgen,
um Treppen, Liften etc. Raum zu geben. Darin waren auch
die im 2. Obergeschoss liegenden Galerien des Stefaniensaales
eingeschlossen. Da die Fassaden aus Gründen des Denkmalschutzes
weitestgehend zu erhalten waren, musste sich die innere
Struktur diesen Gegebenheiten anpassen und in der Raumgliederung
darauf Bedacht nehmen. Die Wegführung vom Eingang auf
der Seite des Sparkassenplatzes sieht über das erhaltene
Foyer mit der Repräsentationstreppe eine Zuordnung
zu den drei Hauptbereichen vor: die Festsäle, die Ausstellungs-
und Konferenzräume sowie der neu geschaffene "Steiermarksaal".
Dieser stellt eine Überbauung eines Innenhofes unregelmäßiger
Konfiguration dar, der als Mehrzwecksaal ausgestattet wurde.
Die erforderlichen Ergänzungsräume wie Garderoben,
Depots und audiovisuelle Medienräume umgeben diese
Raumgruppe. Im Erdgeschoss wurde ein Restaurantbetrieb dem
Kongresszentrum hinzugefügt.
Mit der Planung des Kongresszentrums schloss sich für
uns der Kreis vom Einzelobjekt zur Stadtgestaltung, die
bei diesem Projekt - in der Zwischenzeit wurde die Grazer
Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt - in ihrer Erscheinungsweise
Innen- und Außen durchdringt. In der Altstadt fühlt
man sich innen, auch wenn man sich in den Gassen und auf
den Plätzen im Außenraum bewegt. Auf der anderen
Seite hat der Grazer Congress jene Außenstrahlung,
die den Innenbereich als Begegnung mit dem Zeitlosen in
Architektur, Kunst und Musik stimuliert. Gerade das Zusammentreffen
von historischem Erbe und offener Zukunftsschau, die in
vielen Zeichen im Grazer Stadtkörper zu begegnen ist,
gibt den Klang des Erlebens für Einheimische und Fremde
vor. Seit wenigen Jahren ist auch der Brückenschlag
zum rechtseitigen Murufer gelungen, das ein Ort kulturellen
Ankommens geworden ist.
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