WERKGRUPPE
GRAZ
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WEGHAFTES. ARCHITEKTUR
UND LITERATUR
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3.5
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/ WERK GRUPPE GRAZ -
Weggefährten, Konflikte, Herausforderungen /
3.5.2 /
/ Reflexionen zur Arbeit - das Gespräch mit dem Bauherrn: Hannes
Schwarz /
"Die Liebe oder ihr Fehlen retten oder
verdammen auch in diesem Fall den Menschen und geben seinem Leben
und Werk Sinn" , schreibt Francisco Ferrero Campos (1) auf
den Maler Hannes Schwarz bezogen im Katalog der Ausstellung "Spanische
Reflexionen" im September 2003 in Wien. Und weiter: "Die
Bilder führen uns mit leiser Stimme an jenes Paradoxon der
`soledad sonora` von San Juan de la Cruz heran, einem Grenzbereich
zum Schweigen. Es sind Werke eines Künstlers, der unbemerkt
bleiben will bei allem, was seine Kunst anlangt, der aber seine
Gefühle in den einfachen Objekten verbirgt, welche er auf seinen
Bildern darstellt, eine gewisse Zartheit und Schüchternheit,
die eher auf die Kunst des Geheimnisses hinweisen". Mit Hannes
Schwarz und seiner Frau Elfriede haben wir vor 40 Jahren das Gespräch
begonnen, als er uns bat, für ihn ein Haus mit Atelier zu entwerfen.
Noch heute reden wir darüber, reflexiv im Rückblick auf
viele Jahre seiner künstlerischen Arbeit, gegenseitiger Freundschaft
und gesellschaftlich-familiärer Ereignisse, die den Klang des
Hauses wie im regelmäßigen Bespielen einer Geige aufrechterhalten
haben.
Wir blicken gemeinsam durch die vollverglaste Fensterfront des Wohnzimmers
gegen Südosten und Hannes Schwarz verweist im Anblick des Kulm,
des aus dem oststeirischen Hügelland aufragenden heiligen Berges,
auf Cezanne, dem auf seinen Bildern der Bergrücken des St.
Victoire am Herzen lag. Berge sind es, die bei Schwarz oftmals eine
Rolle spielen, Berge als Massen und Hindernisse, die ihre Last abladen.
Diesen Massen entsteigen immer wieder kleine aufgeworfene Hügel,
die von versteckten Kräften emporgehoben werden, filigran aus
ihren Wurzeln emporstrebende Bäume, mit Vorliebe drei bis vier
an der Zahl, und Artefakte, die die Erdkruste durchbohren und allen
Widerständen zum Trotz ans Tageslicht kommen wollen. Es sind
Bilder seiner späten, spanischen Phase, die nahezu immer einen
Horizont aufweisen, und jenen Horizont erweitern, der sich im Blick
in die Weite von der Höhe des erhabenen Ortes über der
oststeirische Stadt Weiz erschließt. Der Horizont ist bei
Schwarz aber mehr als die uns perspektivisch aufgezwungene Auglinie,
er teilt die Bildfläche in einen Raum und einen Gegenraum.
Der eine wächst von unter heraus, der andere senkt sich von
oben herab. Noch einmal Campos sprechend: "Die Weite des `Oben`
und die `Tiefe` des Unten lassen uns an Dichtomien oder Kombinationen
wie `Himmel-Erde`, `Bewusstsein-Unbewusstsein-Unterbewusstsein`.....denken,
eine Kette von binären Elementen, die die Wirklichkeit spaltet".
Mit der Spaltung der Wirklichkeit ringt Hannes Schwarz sein Leben
lang, selbst existentiell in der eigenen Biografie einer nationalsozialistischen
Jugendorientierung erlebt, später dem werteverneinenden materialistischen
Aufbauprozess nach dem zweiten Weltkrieg unterworfen, schließlich
dem Leiden einer umweltvernichtenden Zivilisation ausgesetzt. Der
Skeptiker Hannes Schwarz richtet seinen scharfen Blick auf diese
uns begegnende Wirklichkeit, doch baut er von einem ethischen Charisma
getrieben darauf auf, dass der Mensch als Einziger in das Nicht-Benennbare
"hineinragen" kann, womit er die Brücke vom Unten
zum Oben schlägt. Der Maler Hannes Schwarz nimmt - wenn man
so will - die Spur des Elias des Alten Testamentes auf. Mir klingt
das Evangelienwort ins Ohr: "Hier lasst uns Hütten bauen,
eine für den Elias......"
Diesem "inneren Blick" im Entwurfsprozess Geltung zu verschaffen,
machte uns mehr Mühe als der aus der gegebenen Situation sich
anbietende Blick nach außen. Hannes Schwarz drückte es
in der Weise aus, dass er Distanz zu seinen Bildern braucht, im
Malprozess selbst und nach dessen Vollendung vor dem schmerzhaften
Freigeben für eine Ausstellung. Daraus erfloss die Vorstellung
eines leeren, in seiner Tiefe erstreckten Raumes, der begangen werden
kann. An der dem Weizberg zugekehrten Ostseite des Hauses wurde
das Atelier wie ein anliegender Flügel an das den Wohnbedürfnissen
vorbehaltene Haus angefügt, wobei die Lichtverhältnisse
ein Seitenlicht wie ein Stirnlicht im Rücken erlauben mussten.
Den Blick nach außen beim Malen hat er sich verwehrt.
In dem gleichen Maß, wie Hannes Schwarz die greifbare Natur
- er malte nie den Kulm vor seinem Fenster - ausschließt,
wendet er sich mit nimmermüden Leidenschaft der Natur zu. Diese
Natur ist keine dem äußeren Augenschein gegebene, an
der Oberfläche haftende, sondern eine drängende, geradezu
kreatürliche. Sie atmet Ruhe und Freude oder sie leidet. Sie
spiegelt im Grunde die menschliche Natur. In seinem Essay "Bild
und Natur" zum Bildband Landschaften mit Gedichten von Alfred
Kolleritsch nähert sich Rudolf Haller (2) der Naturvorstellung
von Schwarz mit dem Bild von sich aufwölbenden inneren Gesteinsschichten.
Er schreibt: "Alle Geschichte, und auch die menschliche, behält
einen Kern von Gesteinsgeschichte, die zwischen Gestaltlosigkeit
und kristallinem Gitterwerk den Spielraum des Grundes und seine
Form erfüllt. Und überall Schichten von Schichten, Platten
und Decken, die sich heben, auf- und übereinanderschieben,
fallen, wälzen, absinken, gleiten, driften, brechen, splittern:
Bewegung im Größten und im Kleinsten, von der Ordnung
zur Unordnung und wieder zurück".
Die innere Verwandtschaft mit Hannes Schwarz, die uns gemeinsame
Vorstellung eines sich ständig verändernden lebendigen
Raumes, konnte die tragfähige Basis der Arbeit an seinem Haus
sein. Dabei ließ er es nicht beim Reden bewenden, sondern
baute selbst ein Modell im Maßstab 1 : 50, um sich einzufühlen
und schrittweise zur Überzeugung zu gelangen, dass das Haus
die gemeinsamen Vorstellungen der Familie Schwarz erfüllen
wird. Neben den Anforderungen des Ehepaares sollten die Ansprüche
einer Tochter erfüllt werden, auch wollte man einen Gast beherbergen.
Man betritt das Haus über einen kleinen Windfang, nach einer
Verengung - mit Zugang zum Atelier - öffnet sich eine Diele,
von der aus der Blick über das große Wohnzimmer hinaus
in die Landschaft freigegeben wird. Der Orientierung nach Südost
wird in einer durchgehenden Verglasung der Fensterwände zur
davor liegenden, vom Boden abgehobenen Terrasse Rechnung getragen.
Die Schlafzimmer mit Sanitärgruppe wurden im südwestlichen
Teil des Hauses angeordnet, Küche und Speiseraum vermitteln
zwischen der extrovertierten und dem introvertierten Raumzone. Ein
Garage rundet im nordwestlichen Teil den Grundsriss ab. Zwei Treppenläufe
münden in der Diele, einer aus dem teilunterkellerten Bereich,
einer aus dem bisher nicht ausgebauten Dachgeschoss.
Mit Wittgenstein`s Bekenntnis, dass da, "wo das Wort versagt,
das Zeigen beginnt" identifiziert sich Schwarz vorbehaltlos
und bezieht aus diesem - durch persönliche Erfahrung getragen
- sein malerisches Selbstverständnis. Durch alle Werkphasen
hindurch, zugleich Wegstrecken im Diskurs mit der Moderne des 20.
Jahrhunderts, begleitet ihn die Unruhe des Suchens einer gültigen
Aussage des kritischen Menschen. In seinen abstrakten Bildern einer
frühen Phase setzte er gestische Zeichen gegen den Verfall
der Materie, in seinen an Eindringlichkeit nicht überbietbaren
organischen Konfigurationen widersteht das Individuum aller Vorherrschaft
der technischen Manipulation, um in der Spätphase der "ewigen
Landschaft" auf sich zurückgeworfen zu werden und zur
Ruhe zu kommen. Aufbruch, Bewegung, Spannung und Beheimatung sprechen
aus seinen Bildern, die Wegstationen einer "promenade humain"
als Schicksalsweg eines Menschen. Dennoch, alle Phasen durchdringt
eine Sehnsucht nach einer den menschlichen Schicksalsverlauf überschreitenden
Harmonie, nach Maß und Proportion, in einer geradezu klassischen,
Alberti`s Thesen bestätigenden Vorstellung von Vollkommenheit
und Schönheit. "Nichts weglassen, und nichts hinzufügen"
ist dem Meister des Pinsels auferlegt, er fühlt sich aufgefordert,
in seinem "Zeigen" dem suchenden Menschen, uns allen,
den Weg zu weisen.
Ein großes Dach über seinem Haus, in rechteckiger Form
als Schirm über bewegtem Grundriss ausgebildet, entspricht
dem "Zeigen" in der architektonischen Sprache. Es ging
aus einer Diskussion hervor, die wir über den Gegensatz von
Platte und Sattel führten. Dem mit Luftlöchern versehenen
Walmdach wurde der Vorzug gegeben. Das sich von oben auf das Haus
herabsenkt und Beheimatung ausspricht. Der Familie Schwarz konnte
diese Sehnsucht nicht versagt werden, obgleich wir als Architekten
Anfang der Sechzigerjahre einem Flachdach eher zugeneigt waren.
Alfred Kolleritsch (in "Landschaften" zu Hannes
Schwarz)
Auftauchen der Natur
Verdeckt hinter der Sichtbarkeit,
das Schweben, vorne
liegt das Hingeschüttete, ein Begehren
berührt, die glücklichen Stunden
erinnern daran,
es geschah und es endete dabei,
dazwischen die Farbenlast,
das Gerippe, übergossen mit Glanz,
tanzt, kein Meisterfuß,
kein Bewegungskreis,
der es auffängt, das Schwindende
hat diesen Ort
das Himmelslicht,
wenn es den Rasen aufbricht,
schützt ihn die Erde,
der Ort, ist, das Ende , des Ortes
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Als Bruno Taut 1933 nach Japan kam, zeichnete er das Haus eines
japanischen Meisters und trat in ideelle Diskussion mit ihm. Er
erkannte in den klaren Linien, der Transparenz des Hauses und
seiner vordachbeschirmten Form die vollständige Übereinstimmung
mit den klimatischen Gegebenheiten des Landes, das kalten Wintern
und heißen Sommern in gleicher Weise ausgesetzt ist. Die
Konstruktion, die mit einem Minimum an Materialaufwand Raum schafft
und in seiner Leichtigkeit den Erdbeben widersteht, vermittelte
für Taut einen Naturbegriff, der in dynamischer Weise im
Fluss der Kräfte das Potential einer kultivierten Natur freilegt.
Zugleich wird in der äußersten Reduktion der formalen
Mittel eine Identität mit dem japanischen Lebensstil angestrebt,
dem das Haus entspricht. Die zeitlosen Grundstrukturen überwältigten
den der frühen Moderne verpflichteten Architekten und veranlassten
ihn, darin auch eine Lehre für das moderne Bauen in Europa
zu sehen.
Friedrich Achleitner (3) nannte das Haus Schwarz ein geradezu
"japanisches". Im Entwurfsprozess dachten wir nicht
daran, doch legten wir ihm ein Naturverständnis zugrunde,
das dem Geist des Landes der aufgehenden Sonne nahe kommt. Vom
Boden leicht abgehoben, mit vermittelnden Terrassen den Garten
in das Haus fortsetzend, im wärmenden Innenraum auf Holzsäulen
aufgeständert und vom rinnenlosen Dach beschirmt drückt
es das "Weghafte" der menschlichen Existenz aus, nicht
anders wie der Stall von Bethlehem. Doch als unverzichtbares Geschenk
sind uns die Stationen auf diesem Weg im Bewusstsein, die Schichten
der Anschauung durchdrungen haben und
am Horizont ihr Ziel hatten.
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(1) "Spanische
Reflexionen, Hannes Schwarz, Malerei und Grafik"
Katalog der Ausstellung im Palais Harrach, Kunsthistorisches
Museum Wien, Hrsg. Wielfried Seipel, Wien 2003 |
Hannes und Elfriede Schwarz in Weiz
Foto: Rudi Molacek
aus:Innenreise, Das künstlerische Werk von Hannes Schwarz,
Benediktinerstift Admont 2002 |
(2) "Landschaften",
Vierundzwanzig Zeichnungen von Hannes Schwarz mit Gedichten
von Alfred Kolleritsch, Essay von Rudolf Haller, Verlag Droschl,
Graz 1984 |
(3)
Friedrich Achleitner, "Österreichische Architektur
im 20. Jahrhundert", Band II: Kärnten, Steiermark,
Burgenland, Residenz Verlag, Salzburg 1983 |
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