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WEGHAFTES. ARCHITEKTUR
UND LITERATUR
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3 .4 / DER WEG IN DER ARCHITEKTUR / auf
konzeptueller Spurensuche
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WEG UND ORT - die Erschließung des Raumes
3.4.3 / "KONTINENTALVERSCHIEBUNG" /
Dem Segler am Meere widerfährt manches
Erstaunliche. Er läuft mit seiner Yacht, nicht ohne vorher
ein delikates korsisches Fischgericht um einen ansehnlichen Franc-Betrag
zu sich genommen zu haben, aus dem Hafen von Macenaccio an der Ostküste
Korsikas aus, um nachts Italien anzusteuern. Der Kurs in nordöstlicher
Richtung liegt an, um als beabsichtigtes Ziel Livorno in den frühen
Morgenstunden zu erreichen. Auf Backbord entschwinden die Konturen
von Cap Corse, als die Nacht hereinbricht. Es ist eine sternenklare
Nacht, in der die Sterne versprechen, den Kompasskurs begleiten
zu können. Ein Wind kommt auf, der auf Nordost dreht, exakt
in der Richtung des anliegenden Kurses. Damit ist der Segler gefordert,
denn der "tote Winkel" verwehrt ihm, dem Kompasskurs zu
folgen. Dem Motorbootfahrer wäre es ein Leichtes, dem Wind
mit dem Motor zu widerstehen, sich gegen die Wellen aufzubäumen
und dem Boot den Kurs aufzuzwingen, den man einzuhalten gedenkt.
Es wäre die Methode des linearen Denkens, der Machtausübung
durch Stärke. Die Moral des Seglers bäumt sich gegen solche
Versuchung auf, obgleich ein entsprechend starker Motor zur Verfügung
stünde, denn der Wind ist ihm Freund und nicht Feind. Also
sucht er nach einer Möglichkeit, dem Wind jene Antriebskraft
zu entlocken, die einen weiterbringt, ohne das Ziel gänzlich
aus den Augen zu verlieren. Es ist der "Kreuzkurs", biblisch
ausgedrückt ein Kreuzweg. An ihm wären auch Kreuzzüge
gescheitert, heißt es.
Längst hat man, abgesehen vom Segelkurs, die hohe Schule des
Segelns zu Rate gezogen und bei Manfred Curry`s Buch "Regatta-Segeln"
aus dem Delius Klasing Verlag nachgeschlagen. Dort befasst er sich
mit der Aerodynamik der Segel und lässt auf anschauliche Weise
die Kunst des Segelns erahnen. In der Tat widmet sich ein Kapitel
dem Kreuzkurs, den er frei hinaus als den "edelsten" bezeichnet.
Welcher Balsam für die Seele des Kreuzfahrers, den Umweg des
Kreuzens als den edelsten Kurs zu erkennen, dessen sich ein anspruchsvoller
Segler bedienen kann. Für die Führung des Bootes "am
Wind" macht Curry allein den Bootsführer verantwortlich
und spricht das Boot und seine Takelage frei von Schuld, wenn das
Boot "keine Höhe" macht. Er schreibt die Kunst des
steilen und schnellen Kreuzens allein der Ruderführung und
der Segelstellung zu, welche beiden Handhabungen im Grunde einfach
sind - gesteht aber dennoch nach ausführlicher Beschreibung
des Kreuzvorganges in einem kurzen Satz seine lebenslange Seglererfahrung
ein: " - und doch wie kompliziert !"
Fürwahr, wenn man rückblickend das Erlebnis der Nacht
betrachtet. Zunächst aber steht es an, den Fortgang des Törnweges
zu beschreiben, der als letzter Schritt einer Korsika-Umrundung
der leichteste erschien. Der eingeschlagene Kreuzkurs, dem "Zick-Zack-Stich"
in der Schneiderei vergleichbar, ist je nach Länge der Schläge
eine mehr oder weniger große Abweichung vom Idealkurs, im
Grunde immer ein Umweg. Ihn zu bemessen erfordert die Optimierung
äußerer und innerer Bedingungen, der Wetter- und Windverhältnisse
und der physischen Kondition der Mannschaft. Beide Voraussetzungen
waren auf unserem Törn vorteilhaft angelegt, denn eine mittlere
Windstärke von 4 -5 Beaufort sicherte ein Fortkommen und die
Mannschaft war bei 2-stündigem Wachewechsel bestens motiviert.
Die Sterne tanzten im Mast und Genua wie Großsegel blähten
sich schwungvoll ohne Unterlass. Stabile Windverhältnisse und
moderater Wellengang beflügelten die Stimmung und ließen
versprechen, dass unter Aufrechterhaltung eines regelmäßigen
Uhr- und Kompassblickes im Morgengrauen die italienische Küste
vor Bug aufsteigen müsste. Der Bleistiftstrich des auf der
Seekarte eingetragenen Kurses verband die Position des Bootes mit
dem Festland und vermittelte die Sicherheit, unter Anwendung aller
seemännischen Kenntnisse und praktizierter Sorgfalt das beabsichtigte
Ziel zeitgerecht zu erreichen.
Allein, der Morgen stieg auf, die italienische Küste kam nicht
in Sicht ! Offensichtlich musste eine "Kontinentalverschiebung"
über Nacht stattgefunden haben, die uns veranlasste zu meinen,
wir hätten die Straße von Messina passiert und wären
vom westlichen in das östliche Mittelmeer gewechselt. Was war
geschehen ? Nach etwa 2 Stunden beharrlichen Kreuzens der aufgehenden
Sonne entgegen zeichneten sich dann gegen 8 h morgens doch die Konturen
eines Festlandes am Horizont ab. Beim Näherkommen wurde deutlich,
dass es die Westküste Italiens war und wir nicht wenige Seemeilen
südlicher als beabsichtigt das Land ansteuerten, allerdings
weit entfernt vom Heimathafen des Bootes gelegen.
Nach erster Ratlosigkeit kam uns die Frage auf die Lippen: Welcher
Klabautermann hatte uns ins Ruder gegriffen ? Trotz sorgfältigster
Kreuz-Technik hatte ein schlichtes "delta", das für
die sogenannte "Deviation" steht, uns vom geplanten Kurs
abgebracht. Wieder liest man im Seglerhandbuch, dass die Deviation
die Ablenkung der Nadel eines Magnetkompasses durch magnetische
Einflüsse des Bootes ist, wobei jeder Schlag nur eine geringfügige
Winkelabweichung mit sich bringt. In Summe über die weite Distanz,
ohne Kontrollmöglichkeit an erkennbaren Peilzielen, hatte der
Kurs eine Bogenform angenommen, die bei entsprechender Länge
uns noch um die Welt geführt hätte .Ja wir hätten
die Deviationskurve bedenken müssen! Doch es ist halb so schlimm.
Im Grund wären wir konsequenterweise zu unserem Ausgangspunkt
zurückgekommen.
Eine elementare Erfahrung fasst Fuß: jedem Schritt vorwärts
entspricht auf dieser Welt ein regressiver Schritt, wie im Reigen
eine Gruppe tanzt. Dadurch beginnt alles zu schwingen, fällt
in den Rhythmus. Kosmische Kräfte erlegen uns das auf, sie
spiegeln sich auch in uns. Das Erlebnis dieser Nacht hat die zusammengewürfelte
Crew auf sonderbare Weise zusammengebunden, indem sie ein weiterer
Weg zu neuen Zielen anzog. Der Umweg, der wie in einem Labyrinth
immer wieder an den Anfang zurückführt, ist das Versprechen
einer neuen Ebene des Erlebens, die uns als räumliches Phänomen
näher bringt.
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Eugen Gross: Vor Rhodos
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Eugen Gross: Porto Vecchio, Sardinien
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